Mitteilungsvorlage - MV/2025/120

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Beratungsfolge

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Begründung der Verwaltungsempfehlung

1   Ausgangslage

Der sogenannte „Bau-Turbo“ bezeichnet die aktuelle Novelle des BauGB zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung, die am 30. Oktober 2025 in Kraft getreten ist. Mit dieser Vorlage sollen die zentralen Änderungen erläutert werden. Am Ende dieser Vorlage befindet sich zudem ein Vorschlag für die weiteren Schritte.

Ziel der neuen Gesetzesänderungen ist, das Umsetzen von Wohnungsbauvorhaben – vor allem im Innenbereich durch Nachverdichtung und Umnutzung – zu erleichtern und schneller Wohnraum zu schaffen. Wesentliche Änderungen der Novelle sind die Erweiterung der Befreiungsmöglichkeiten (§ 31 Abs. 3 BauGB) und der Abweichungsmöglichkeiten beim Einfügen (§ 34 Abs. 3b BauGB). Der neue § 246e BauGB ermöglicht darüber hinaus ein gänzliches Abweichen von den Vorschriften des BauGB.

Um Fehlentwicklungen zu vermeiden und die kommunale Planungshoheit zu gewährleisten, wurde in Verbindung mit diesen Änderungen außerdem der § 36a BauGB eingeführt, der beim Einsatz der neuen gesetzlichen Regelungen immer auch die Zustimmung der Gemeinde voraussetzt.

Da es sich bei den Änderungen um „Kann-Vorschriften“ handelt, stehen alle Befreiungen und Abweichungen im Ermessen der Gemeinde. Der Einsatz sollte gut durchdacht sein, insbesondere unter Berücksichtigung einer Gleichbehandlung aller Vorhaben.

2   Anwendung

Mit der Anwendung der neuen Regelungen können Bebauungspläne ersetzt werden, jedoch nicht uneingeschränkt. So müssen beispielsweise gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt bleiben sowie generell die Grundsätze der Bauleitplanung (u.a. zur Konfliktbewältigung) eingehalten werden. Auch müssen Vorgaben aus sonstigen Fachgesetzen (z.B. Landesbauordnung, Bundesnaturschutzgesetz, Bundes-Immissionsschutzgesetz, Denkmalschutzrecht) weiterhin eingehalten werden. Darüber hinaus bleibt der Gebietserhaltungsanspruch bestehen, d.h. die neuen Regelungen können ggf. nicht angewandt werden, wenn es dadurch zu einer Veränderung eines bestehenden Gebietscharakters kommt (z.B. Zulassen von Wohnen in Gewerbegebieten).

Die Abweichungs- und Befreiungsvorschriften – sowohl die bisherigen als auch die neuen (s. Anlage 1) – sind erst anzuwenden, wenn das Vorhaben nicht über „normalen“ Wege genehmigungsfähig ist. Aufgrund der Verfahrenseffizienz sollte zunächst geprüft werden, ob eine Zulässigkeit auf Grundlage der bisherigen Regelungen erfolgen kann, da die „Bau-Turbo“-Regelungen zusätzliche Verfahrensschritte erfordern (z.B. Einholung der gemeindlichen Zustimmung, ggf. strategische Umweltprüfung).

2.1   Vorgehensweise

Um den Ermessensspielraum klarer zu definieren und einen rechtssicheren Umgang mit den neuen Abweichungs- und Befreiungsvorschriften sicherzustellen, sollten von den Gemeinden „Fahrpläne“ bzw. „Leitlinien“ zum Einsatz der Regelungen aufgestellt werden. Im Zuge dessen können Befreiungen oder Abweichungen beispielsweise auch an Bedingungen geknüpft werden (z.B. anteilige Herstellung von gefördertem Wohnraum, Beteiligung an den Kosten für die Schaffung sozialer und kultureller Infrastruktur, Umsetzung von Maßnahmen zur Reduzierung von Lärmkonflikten). Werden diese Bedingungen nicht erfüllt, erfolgt auch keine Zustimmung nach § 36a BauGB.

Gleichzeitig ist es bei der Aufstellung von Leitlinien wichtig, die Vorstellung der Gemeinde zur städtebaulichen Entwicklung und Ordnung zu konkretisieren. Hierfür können z.B. der Flächennutzungsplan oder andere städtebauliche Entwicklungskonzepte herangezogen werden. Leitlinien diesbezüglich können umfassen, dass der „Bau-Turbo“ nicht im klassischem Außenbereich angewandt wird, dass unbeplante Bereiche aufgrund der bereits bestehenden Dichte nicht weiterwachsen sollen, oder dass kein Wohnen in Gewebegebieten (aufgrund von unkalkulierbaren Nutzungskonflikten und dem Gebietserhaltungsanspruch) entstehen soll. Generell sollte das Ziel sein, eine negative Vorprägung und sonstige städtebauliche Fehlentwicklungen zu unterbinden.

In Wedel ist – insbesondere in Anbetracht der relativ zügigen Bearbeitungs- und Verfahrenszeit der zuletzt durchgeführten Bebauungspläne – eine wirkliche Zeitersparnis durch den Einsatz des § 246e BauGB (s. Kapitel 3.3) derzeit fraglich. Auch dieses sollte bei der Erarbeitung des Fahrplans zur Umsetzung des „Bau-Turbos“ bzw. bei der späteren Entscheidung, warum sich gegen oder für konkrete Leitlinien entschieden wurde, Berücksichtigung finden.

Unter den „Bau-Turbo“-Vorschriften besteht keine Rangfolge. D.h. ein Vorhaben kann nach § 246e BauGB genehmigt werden, auch wenn theoretisch eine Genehmigung nach § 34 Abs. 3b BauGB in Betracht käme. Letztendlich entscheiden die Antragstellenden den Verfahrensgegenstand – wenn also ein Antrag auf Abweichung nach § 34 Abs. 3b BauGB gestellt wurde, ist grundsätzlich auch nur über diesen zu entscheiden. In Anbetracht dessen, sowie auch unter Berücksichtigung der Einhaltung der Leitlinien, kann eine erfolgreiche Anwendung der „Bau-Turbo“-Regelungen im Grunde genommen nur mit intensiver Vorberatung vor Einreichung eines Bauantrags erfolgen. Die Vorberatung ist vor allem auch hinsichtlich der Prüfung der wesentlichen Konflikte wichtig. Ein Bauantrag, der ohne Vorberatung eingereicht wurde, kann bei unklaren städtebaulichen Folgen nur abgelehnt werden.

3   Übersicht zentraler Änderungen des BauGB

Beim Einsatz der neuen Abweichungs- und Befreiungsvorschriften muss, wie in Anlage 1 dargestellt, stets die Vereinbarkeit mit öffentlichen Belangen sowie die Würdigung nachbarlicher Interessen (z.B. Nachbarschutz, Gebietserhaltungsanspruch, Gebot der Rücksichtnahme) sichergestellt werden. Eine Vereinbarkeit mit öffentlichen Belangen ist vor allem dann nicht gegeben, wenn zusätzliche erhebliche Umweltauswirkungen anzunehmen sind.

3.1   § 31 Abs. 3 BauGB

Bei § 31 Abs. 3 BauGB handelt es sich um einen bestehenden Paragraphen, der im Rahmen des „Bau-Turbos“ geändert wurde. Mit der Änderung wird ermöglicht, dass mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall oder in mehreren vergleichbaren Fällen von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden kann, auch wenn hierdurch die Grundzüge der Planung berührt werden.  Der zuvor befristete Paragraph konnte vor der aktuellen Novelle des BauGB nur im Einzelfall und in einem Gebiet mit angespannten Wohnungsmarkt angewandt werden.

Ein klassischer Anwendungsbereich des § 31 Abs. 3 BauGB kann z.B. die Aufstockung gleich mehrerer Wohngebäude – über das im Bebauungsplan festgesetzte Maß der baulichen Nutzung – sein. Insbesondere ältere Bebauungspläne Wedels, die bei den Festsetzungen zum Bauvolumen (Grundfläche, Geschossigkeit etc.) nach heutiger Auffassung eher zurückhaltend waren, könnten hier von Interesse sein. Auch könnte die Regelung genutzt werden, um von Festsetzungen zu befreien, die z.B. maximal eine Wohneinheit für ein Wohngebäude vorsehen.

3.2 §   34 Abs. 3b BauGB

Der neu eingefügte § 34 Abs. 3b BauGB ermöglicht im unbeplanten Innenbereich mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall oder in mehreren vergleichbaren Fällen von dem Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung bei Errichtung von Wohngebäuden abzuweichen.

Mit dieser neuen Regelung kann z.B. großzügig Bebauung in 2. Reihe – gerade in älteren Wohngebieten mit oftmals großen Grundstücken – ermöglicht werden. Für Wedel ist diesbezüglich aber festzuhalten, dass vor allem die vielen einfachen Bebauungspläne (diese beinhalten weniger detaillierte Vorgaben als „normale“ Bebauungspläne), eine rückwärtige Bebauung in solchen Gebieten bereits zulassen bzw. regeln (z.B. Nr. 100a, 100b, 100e, 100f etc.).

3.3   § 246e BauGB

Vor allem der neue § 246e BauGB soll als befristete Experimentierklausel im größeren Umfang die Schaffung von Wohnraum beschleunigen. Er eröffnet die Möglichkeit, bei Wohnbauvorhaben nicht nur von den Regelungen des BauGB, insbesondere von den §§ 29-38 BauGB zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit sowie von Bebauungsplänen und anderen städtebaulichen Satzungen, abzuweichen, sondern auch von den auf Grundlage des BauGB erlassenen Vorschriften wie der Baunutzungsverordnung.

Voraussetzung für die Anwendung der neuen Regelung ist, dass sofern ein Vorhaben nach überschlägiger Prüfung voraussichtlich zusätzliche erhebliche Umweltauswirkungen zur Folge hat, eine strategische Umweltprüfung, ggf. auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Bei Außenbereichsflächen kann § 246e BauGB zudem nur dann Anwendung finden, wenn diese im räumlichen Zusammenhang zum Innenbereich stehen, um weiterhin einen schonenden Umgang sicherzustellen sowie eine Zersiedelung des offenen Landschaftsraum zu vermeiden.

Wird ein Wohnvorhaben nach § 246e BauGB genehmigt, können im Zuge dessen zur Deckung des dadurch entstandenen Bedarfs auch Anlagen für kulturelle, gesundheitliche und soziale Zwecke sowie Läden zur Deckung des täglichen Bedarfs zugelassen werden.

Auch wenn der bis 31. Dezember 2030 befristete Paragraph ein ganzes Bauleitplanverfahren ersetzen kann, können Wohnvorhaben nur in dem Umfang genehmig werden, wie sie auch als Ergebnis mittels eines Bebauungsplan möglich wären. D.h. der Gemeinde kommt beim Einsatz dieser neuen Regelung eine besondere Prüfverantwortung zu. Je umfangreicher das Vorhaben und die Abweichungen sind, desto sorgfältiger muss geprüft werden, ob das Vorhaben so auch nach einer sachgerechten Abwägung im Rahmen eines Bauleitplanverfahrens entstehen könnte. Dieses Prüferfordernis (insbesondere auch die Prüfung der Umweltbelange), die im Vorfeld benötigte Vorberatung und Abstimmung zwischen Antragstellenden und Verwaltung sowie die Erarbeitung von vertraglichen Regelungen (z.B., weil eine Zustimmung an Bedingungen geknüpft ist) erfordert allerdings auch entsprechendes Personal bei den Gemeinden – insbesondere bei den Bauaufsichten.

Ein Beispiel für die Anwendung des § 246e BauGB können Flächen sein, für die bereits ein Rahmenkonzept vorliegt oder ggf. schon ein Bauleitplanverfahren eingeleitet wurde. Hier kann die neue Regelung dann als Abkürzung genommen werden und eine Genehmigung vor Fertigstellung und Satzungsbeschluss des Bebauungsplans erteilt werden.

3.4   § 36a BauGB

Für den Einsatz der neuen Regelungen (§ 31 Abs. 3, § 34 Abs. 3b und § 246e BauGB) ist die gemeindliche Zustimmung gemäß des neuen § 36a BauGB zwingende Voraussetzung für die Zulassung eines Vorhabens. Die Zustimmung hat i.d.R. binnen drei Monaten nach Antragsstellung zu erfolgen. Eine Fristverlängerung ist bei Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit möglich, die ggf. notwendig ist, um die Vereinbarkeit eines Vorhabens mit den öffentlichen Belangen sowie die Würdigung nachbarlicher Interessen sicherzustellen.

Die Zustimmung der Gemeinden ist zu unterscheiden vom bloßen Einholen des Einvernehmens nach § 36 BauGB. Die erforderliche gemeindliche Zustimmung wird mit der Gewährleistung der kommunalen Planungshoheit begründet. Anders als das Einvernehmen, das allein aufgrund eines angenommenen Rechtsverstoßes gegen die Vorgaben der §§ 31, 33, 34 und 35 BauGB versagt wird, kann die Zustimmung auch verwehrt werden, wenn das Vorhaben nicht den Vorstellungen der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung der Gemeinde entspricht. Aus diesem Grund ist die Erstellung von Leitlinien zur Umsetzung des „Bau-Turbos“ so wichtig.

4   Die nächsten Schritte

  •           Die Verwaltung erarbeitet einen Vorschlag für Leitlinien zum Einsatz der „Bau-Turbo“-Regelungen und stellt den in einem der nächsten Planungsausschüsse vor.
  •           Anschließend werden die Fraktionen gebeten, dieses Thema zu beraten und hierzu eine Rückmeldung zu geben.
  •           Die Verwaltung bereitet die benötigten Grundsatzbeschlüsse vor (z.B. Anpassung der Hauptsatzung hinsichtlich der Zuständigkeiten im Rahmen der Zustimmung nach § 36a BauGB).

 

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Anlagen

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