Mitteilungsvorlage - MV/2025/028
Grunddaten
- Betreff:
- 
Prüfauftrag zur Einführung einer kommunalen Steuer auf Einwegverpackungen ("Verpackungssteuer") 
- Status:
- öffentlich (Vorlage freigegeben)
- Vorlageart:
- Mitteilungsvorlage
- Federführend:
- Fachdienst Wirtschaft und Steuern
- Geschäftszeichen:
- 3-22 Ba
Beratungsfolge
| Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA | 
|---|---|---|---|---|
| 
●
Erledigt
 |  | Haupt- und Finanzausschuss | Kenntnisnahme |  | 
|  | 26.05.2025 | 
Begründung der Verwaltungsempfehlung
Anlass
Zur Sitzung des HFA am 17.02.2025 stellte die SPD-Fraktion einen Antrag auf Prüfung der Einführung einer kommunalen Steuer auf Einwegverpackungen („Verpackungssteuer“). Anlass war die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur Einführung einer Verpackungssteuer in der Stadt Tübingen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 27. November 2024 (- 1 BvR 1726/23 -) durch die Zurückweisung einer Verfassungsbeschwerde die Tübinger Verpackungssteuer grundsätzlich für zulässig erklärt. Bestimmte Teile der Satzung, wie die unbestimmte Obergrenze der Besteuerung von 1,50 Euro pro "Einzelmahlzeit“ und das der Stadtverwaltung ohne zeitliche Begrenzung gewährte Betretungsrecht im Rahmen der Steueraufsicht, sind jedoch unwirksam. Neben Tübingen hat bisher nur die Stadt Konstanz zum 01.01.2025 eine Verpackungssteuer eingeführt. Viele weitere Kommunen prüfen jedoch die Einführung von Verpackungssteuern. Die WSI und die Fraktion der Grünen hatten zum Thema Verpackungssteuer weitergehende Anträge gestellt, die allerdings abgelehnt wurden. Hiermit möchte die Verwaltung auf die Anfrage der SPD antworten.
Tübingen
Die Stadt Tübingen hat nach einer ca. zweijährigen Vorarbeit zum 01.01.2022 eine Satzung für eine Steuer auf Einmalverpackungen beschlossen. Im Vordergrund stand damals nicht eine Erhöhung der Einnahmen der Stadt. Das Kosten- Nutzenverhältnis spielte bei der Einführung der Steuer keine Rolle. Mit der Verpackungssteuer sollte im Sinne der Nachhaltigkeit Verpackungsmüll vermieden, dessen Entsorgungskosten (ca. € 700.000 jährlich) reduziert und das optische Problem von überfüllten Mülleimern im Stadtgebiet gelöst werden. Tübingen setzte dabei von Beginn an auf die Information, Aufklärung, Überzeugung und die Beteiligung der von der Steuer betroffenen Unternehmen. Mit der Bereitstellung von Flyern, der Durchführung von Informationsveranstaltungen, „Informationsrundgängen“, Firmenbesuchen und Videos sollten die Unternehmen überzeugt und „mitgenommen“ werden. Den Unternehmen wurde die Umstellung auf Mehrweggeschirr und –besteck zudem durch ein spezielles eigens dafür aufgesetztes städtisches Förderprogramm erleichtert. Dazu wurden Betriebe auf Antrag einmalige Zuschüsse in Höhe € 1.000,- für eine Spülmaschine und € 500,- für Mehrwegbestecke gewährt.
Die Tübinger Verwaltung hatte für den gesamten Einführungsprozess eine Arbeitsgruppe gebildet und zwei zusätzliche Stellen (Personalkosten ca. € 100.000,-) geschaffen, die auch heute noch mit der Umsetzung der Steuer betraut sind. Die von der Steuer betroffene Unternehmen sind u.a. Systemgastronomien, Imbisse, Supermärkte, Tankstellen, Bäckereien, Metzgereien, Restaurants, Schulkantinen, Betriebskantinen, Eisdielen, Kioske etc. In der Praxis werden die Unternehmen aufgefordert Steuererklärungen abzugeben, die dann von der Verwaltung auf Plausibilität geprüft und daraufhin Bescheide erstellt werden. Gegebenenfalls wird auch noch persönlich vor Ort geprüft. Bei Unstimmigkeiten werden zudem Testkäufe durchgeführt. Eine echte vollständige Kontrolle ist nicht möglich. Erfahrungsgemäß sind auch nicht immer alle Angaben der Unternehmen korrekt. Besteuert werden Einmalverpackungen für Speisen und Getränke, die für eine „einmalige Verwendung“ vorgesehen sind und typischerweise nicht mit nach Hause genommen werden, also „zum sofortigen Verzehr“ gedacht sind. Der Inhouse-Verzehr mit Einmalverpackungen wird auch besteuert, da es vor Ort meist keine „stoffliche Verwertung“ mit Trennung gibt und alles dem Restmüll zugeführt wird. Die Steuer sieht € 0,20 pro Stück Einwegbesteck und € 0,50 pro Stück Einmalverpackung, maximal € 1,50 „pro Mahlzeit“ vor. Insgesamt hat Tübingen in 2024 aus der Verpackungssteuer von ca. 200 steuerpflichtigen Betrieben ca. 800.000 Euro eingenommen.
Der Effekt der Steuer auf die Menge des Verpackungsmülls ist weder messbar noch berechenbar. Es hat keine Vorher-/Nachher-Betrachtung stattgefunden. Der Verpackungsmüll macht gewichtsmäßig auch nur einen kleinen Bruchteil am gesamten Restmüll aus und wird mit ihm zusammen ohne Trennung entsorgt. Eine eigens zur Einführung der Verpackungssteuer initiierte Studie der Uni Tübingen weist auch keine Wirkung nach. Optisch hat sich das Problem mit Verpackungsmüll im Stadtgebiet aber offenbar reduziert.
Das Kriterium „zum sofortigen Verzehr“ führt in der Praxis zu diversen Ausnahmen, die von der Steuer ausgenommen sind und in jedem Einzelfall auch geprüft werden müssen. Auch für die Unternehmen steckt hier der Teufel im Detail. Exemplarisch seien hierzu nur folgende Ausnahmen genannt: Verpackte Lebensmittel, die typischerweise auf Vorrat und zum späteren Verzehr gekauft werden; Obst, Gemüse, Konserven und Tiefkühlkost (gelten als nicht sofort verzehrfertig); Kleinst- und Portionsverpackungen bis 25 g/25 ml (z.B. mit Senf, Ketchup, Butter, Zuckerpäckchen); Besteck unter 10 cm Länge (z.B. Eislöffel und Pommerpiekser); selbstmitgebrachte Einwegverpackungen; Einwegverpackungen für Speisereste nach Restaurantbesuchen; Einmalverpackungen zur Lieferung nach Hause (Pizzaservices); Einwegverpackungen aus „Drive-Ins“, sofern die Kundschaft motorisiert ist (hier erfolgt ein gezielter Verkauf an mobile Personen mit großer Reichweite).
Wedel
Im Verlaufe der Corona-Epidemie kam es auch in Wedel immer ´mal wieder „Müllproblemen“, die auch optisch auffällig wurden. Das hat sich nun bis heute allerdings wieder relativiert. Aktuell gibt es kein sich wirklich aufdrängendes sichtbares Problem von Abfall in Wedel und Umgebung. Nur in den Bereichen mit starkem Publikumsverkehr (Bahnhofstraße Industriegebiet, Supermärkte etc.) kann Abfall immer einmal wieder ein Thema sein. Trotz einer eigentlich ausreichenden Zahl von Abfalleimern (in der Bahnhofstraße ca. 70, im gesamten Stadtgebiet ca. 450) kommt es dennoch immer wieder zu nicht ordnungsgemäß entsorgten Müll in der Öffentlichkeit. Abfallbehälter werden erfahrungsgemäß aus Bequemlichkeit manchmal nicht benutzt, wenn sie vermeintlich zu weit entfernt gelegen scheinen. Alle öffentlichen Behälter werden von den Mitarbeitenden des Bauhofs geleert. In der Bahnhofstraße ist damit eine Person beschäftigt und an Wochenenden sind zusätzliche Teams unterwegs.
Die Abfallbehälter enthalten neben Verpackungsmüll auch Hausmüll, Glas und z.B. benutzte „Hundetüten“. Eine Trennung des Abfalls ist nicht möglich. Der Anteil des Verpackungsmülls am Gesamtabfall ist auch in Wedel nicht zu beziffern. Der gesamte Abfall wird in einem Container der GAB gesammelt und wöchentlich bis vierzehntägig abgeholt. Zwei weitere Sammelcontainer stehen in der warmen Jahreszeit an der „Badebucht“. Die Kosten für die Entsorgung des Abfalls belaufen sich auf ca. € 23.000 jährlich (2024). Die GAB selbst verwertet den Abfall auch nicht, sondern führt ihn einer gemeinsamen Entsorgung in der Müllverbrennungsanlage zu.
Eine erste verwaltungsinterne Prüfung lieferte Hinweise darauf, dass in Wedel Verpackungsabfall in ca. 65 gastronomische Betrieben, 10 Supermärkten und 15 Bäckereiverkaufsstellen, Kiosken und Tankstellen anfallen könnte. Jeder dieser potentielle Steuerzahler müsste aber und auch persönlich vor Ort ermittelt und überprüft werden. Eine realistische Summe aus möglichen Einnahmen einer in Wedel eingeführten Verpackungssteuer lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht nennen. Es scheint aber unrealistisch, aus den Einnahmen der Verpackungssteuer in Höhe von € 800.000 in Tübingen mit insgesamt 90.000 Einwohnern die potentiellen Einnahmen in Wedel mit seinen 34.000 Einwohnern ableiten zu wollen. Tübingen ist Kreisstadt, Universitätsstadt und „Oberzentrum“ und die drittgrößte Mittelstadt von Baden-Württemberg. Damit kommt Ihr eine weitaus stärkere Versorgungsfunktion für die umliegenden Gemeinden zu als Wedel, dass nur ein „Mittelzentrum im Verdichtungsraum“ ist. Damit dürfte auch der anfallende Verpackungsmüll in Wedel deutlich geringer sein. Dafür spricht auch, das Tübingen insgesamt € 700.000 für die Entsorgung des in der Stadt anfallenden Abfalls aufbringen muss und Wedel lediglich ca. € 25.000.
Einwegkunsstofffondsgesetz und Empfehlungen der Industrie- und Handelskammer S.-H. (IHK)
Mit der Einführung des Einwegkunststofffondsgesetzes hat die Bundesrepublik die europäischen Regelungen in deutsches Recht übernommen. Zum 01.01.2025 sind die Hersteller und Inverkehrbringer von Einwegkunststoffen zur Einzahlung in einen Fonds verpflichtet, aus dem Maßnahmen zur Abfallvermeidung und –entsorgung finanziert werden sollen. Die Lasten, die bislang vor allem von den Kommunen getragen wurden, sollen auf die Hersteller von Einwegkunststoffen umgelegt werden, um so den Anreiz für umweltfreundlichere Alternativen zu stärken. Darüber hinaus hat die EU bereits weitreichende Maßnahmen zur Reduktion von Einwegkunststoffen (z.B. Verbot von Plastikstrohhalmen) verabschiedet, die auf europäischer Ebene harmonisierte Regelungen zu Verpackungen und zu Mehrwegverpflichtungen vorsehen. Es ist also damit zu rechnen, dass sich der anfallende Verpackungsmüll in den kommenden Jahren weiter reduziert.
Die IHK Schleswig-Holstein spricht sich aus mehreren Gründen grundsätzlich gegen die Einführung kommunalen Verpackungssteuern aus. Sie geht davon aus, dass es durch kommunale Verpackungssteuern zu Mehrfachbelastungen für ohnehin stark betroffene Branchen kommen könnte. Etliche Unternehmen kämpfen nach wie vor mit den finanziellen Folgen der COVID-19-Pandemie, den steigenden Energiekosten und den wirtschaftlichen Unsicherheiten aufgrund globaler Krisen. Die Rückkehr zu einer Umsatzsteuer von 19 % auf Speisen in Restaurants belastet auch bereits viele Betriebe. Letztlich könnte laut IHK die Einführung einer Verpackungssteuer durch die Mehrbelastungen auch die ohnehin schon vorhandene Leerstandsituation in den Innenstädten noch verschärfen. Insbesondere für kleinere Betriebe würde die Einführung einer kommunalen Verpackungssteuer nämlich auch einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand bedeuten. Die Bearbeitung, Berechnung und Abführung der Abgabe wären zusätzliche Herausforderungen und würden auch zusätzliche Kosten für die Betriebe bedeuten. Insbesondere kleine Betrieb wäre hiervon besonders betroffen.
Da die Einführung einer kommunalen Verpackungssteuer zu einem regionalen Flickenteppich aus unterschiedlichen Regelungen beitragen würde, sieht die IHK auch die Gefahr, dass Unternehmen gegenüber anderen Regionen ohne Verpackungssteuer benachteiligt würden. Diese Unterschiede erschweren nicht nur den Wettbewerb, sondern erhöhen auch die Kosten für Unternehmen, die in mehreren Kommunen tätig sind. Die Verpackungssteuer würde insbesondere bei Fast-Food-Anbietern und kleinen Imbissen, zu höheren Preisen führen, die letztlich die Verbraucher tragen müssten. Auch negative Auswirkungen auf den Tagestourismus können so nicht ausgeschlossen werden.
Weiteres Vorgehen
Sollte eine Mehrheit der Ratsversammlung eine Einführung einer Verpackungssteuer wünschen, stellt sich die Frage nach deren Zielsetzung. Steht dabei die Vermeidung von Verpackungsmüll oder eine mögliche zusätzliche Einnahme für den städtischen Haushalt im Vordergrund? In Tübingen ist die Verpackungssteuer keine „Verpackungsmüllsteuer“, mit der anfallende Verpackungsmüll besteuert wird, sondern eher eine „Verpackungsvermeidungssteuer“, die schon im Vorfeld bewirken sollte, dass weniger Einmalverpackungen genutzt werden. Mit dem Erfolg ihrer Einführung einer Verpackungssteuer und dem Zuwachs von Mehrwegverpackungen nehmen natürlich auch die Einnahmen der Steuer ab. Langfristige Einnahmeverbesserungen und deren Höhe bleiben also ungewiss. Wenn das Kosten- Nutzenverhältnis wie in Tübingen eher sekundär ist und die Steuer nur im Sinne der Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung eingeführt werden sollte, dann sollte man sehr stark auf eine Beteiligung, Information und Überzeugung der betroffenen Unternehmen setzen. In diesem Fall sollte auch erwogen werden, den Unternehmen wie in Tübingen den Umstieg auf Mehrweggeschirr und –besteck durch eine städtische monetäre Förderung für dessen Anschaffung zu erleichtern.
Für die Erstellung einer Satzung und deren Umsetzung würde eine zusätzliche Stelle (A 9 /EG 9b, Kosten ca. € 60.000) erforderlich sein. Diese Stelle könnte frühestens mit dem Stellenplan für den Haushalt 2026 eingeworben werden. Vorausgesetzt die Genehmigung des Haushaltes erfolgt sehr zeitnah, also z.B. noch im März 2026, so könnte die Stelle nach der Ausschreibung und einem erfolgreich abgeschlossenen Bewerbungsverfahren frühestens im Herbst 2026 besetzt werden. Für den Vorlauf zur Erstellung der Satzung, die Ermittlung der steuerpflichtigen Unternehmen, der Information und Beteiligung der Betriebe, sowie der Beratung und dem abschließenden Ratsbeschluss der Satzung wäre noch einmal mit einem Zeitraum von mindestens ca. 9 Monaten zu rechnen. Eine Einführung einer Verpackungssteuer in Wedel erschiene daher im allergünstigsten Falle zum 1.7.2027 möglich.
Die Verwaltung empfiehlt zunächst die jetzt zu erwartende neue „Rechtsprechung“ in Sachen Verpackungssteuer abzuwarten. Momentan prüfen viele Kommunen die Einführung einer Verpackungssteuer und es ist unvermeidlich, dass neue Satzungen auch weitere Klagen nach sich ziehen werden. Den oben angeführten Argumenten der IHK gegen die Einführung von kommunalen Verpackungssteuern kann man sich auch nicht verschließen. Die Wirtschaftslage ist aktuell sehr schwierig. Die Unternehmen leiden immer noch unter den finanziellen Folgen der COVID-Pandemie, den steigenden Energiekosten und den allgemeinen wirtschaftlichen Unsicherheiten aufgrund globaler Krisen. Die große aktuelle Wirtschaftskrise, aber auch generelle Veränderungen des Freizeitverhaltens der Bürger*innen sorgen dafür, dass weniger konsumiert und mehr gespart wird. Gerade die Gastronomie spürt dies schmerzlich. Langfristige Leerstände in der Wedeler Innenstadt weiten sich aus. Es spricht viel dafür, dass Unternehmen in der augenblicklichen Situation nicht mit weiteren Steuern und Abgaben belastet werden sollten. Die Verwaltung empfiehlt daher zunächst von der Einführung einer Verpackungssteuer abzusehen.
Anlagen
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