Mitteilungsvorlage - MV/2024/047
Grunddaten
- Betreff:
-
Die Verschwiegenheitspflicht und Konsequenzen ihrer Verletzung
- Status:
- öffentlich (Vorlage freigegeben)
- Vorlageart:
- Mitteilungsvorlage
- Federführend:
- Justiziariat
- Geschäftszeichen:
- 0-11
Beratungsfolge
| Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
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●
Erledigt
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Rat der Stadt Wedel
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Kenntnisnahme
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13.06.2024
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Begründung der Verwaltungsempfehlung
Die Verschwiegenheit ist ein wesentlicher Bestandteil der ehrenamtlich tätigen Bürgerinnen und Bürger und genießt besondere Bedeutung. Die Verschwiegenheitspflicht ist in § 21 GO verankert.
In § 21 Abs. 1 GO heißt es:
„Ehrenamtlich tätige Bürgerinnen und Bürger haben ihre Tätigkeit gewissenhaft und unparteiisch auszuüben. Bei Übernahme ihrer Aufgaben sind sie zur gewissenhaften und unparteiischen Tätigkeit und zur Verschwiegenheit zu verpflichten. Die Verpflichtung ist aktenkundig zu machen.“
Der § 21 Abs. 2 GO lautet:
„Ehrenamtlich tätige Bürgerinnen und Bürger haben, auch nach Beendigung ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit, über die ihnen bei dieser Tätigkeit bekanntgewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren. Dies gilt nicht für Mitteilungen im dienstlichen Verkehr oder über Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen.“
Für Gemeindevertreter regelt § 32 Abs. 3 S. 1 GO, dass § 21 Abs. 2 bis 5 GO entsprechend anzuwenden ist. Gemeindevertreter üben ihre Tätigkeit zwar nebenberuflich aus, sie unterliegen aber wegen des freien Mandates nicht unmittelbar den Vorschriften über die ehrenamtliche Tätigkeit. Deswegen finden die Regelungen aus § 21 GO entsprechend Anwendung, vgl. Dehn in Dehn/Wolf Kom. GO-SH, § 32 zu Abs. 3, S. 324.
Die Verpflichtung für bürgerliche und stellvertretende bürgerliche Ausschussmitglieder ergibt sich aus den Regelungen über die ehrenamtliche Tätigkeit, § 21 bis 25 GO, Dehn in Dehn/Wolf Kom. GO-SH, § 46 zu Abs. 6, S. 478, 479.
Für Ehrenbeamte kommt § 21 GO nicht zur Anwendung. Für sie gelten nach § 6 LBG die inhaltlich ähnlichen Vorschriften in § 33 BeamtStG (Grundpflichten), § 36 Abs. 1 BeamtStG (Verantwortung für die Rechtmäßigkeit) und § 37 BeamtStG i.V.m. § 46 LBG (Verschwiegenheitspflicht, Aussagegenehmigung); Dehn in Dehn/Wolf Kom. GO-SH, § 21, S. 218.
Die Verpflichtung zur Verschwiegenheit will sowohl berechtigte Einzelinteressen als auch das öffentliche Wohl schützen. Sie muss nicht ausdrücklich angeordnet werden, sondern besteht kraft Gesetzes. Die Verschwiegenheitspflicht schränkt die Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG in zulässiger Weise ein, da sie sich nicht gegen eine Meinung als solche richtet. Sie besteht unabhängig davon, ob der ehrenamtlich Tätige hierzu formell verpflichtet worden ist und gilt für alle vertraulichen Kenntnisse, die im Zusammenhang mit der ehrenamtlichen Tätigkeit erlangt wurden. Kenntnisse können aus Akten, schriftlichen Unterlagen, aus der Teilnahme an Sitzungen sowie aus Gehörtem und Gesehenem stammen. Im Zweifel sollten die ehrenamtlich Tätigen fragen, ob eine bestimmte Angelegenheit der Verschwiegenheitspflicht unterliegt.
Grundsätzlich ist die Öffentlichkeit der Sitzungen ein wesentlicher Grundsatz der repräsentativen Demokratie, der für alle Ebenen der Volksvertretung gilt. Der generelle Grundsatz der Öffentlichkeit verbietet es daher, Sitzungen von vornherein als nicht öffentlich einzustufen. Die Ausschließung der Öffentlichkeit ist eine Rechtspflicht, wenn überwiegende Belange des öffentlichen Wohls oder berechtigte Einzelinteressen es erfordern, vgl. zu § 35 Abs. 1 GO SH, Dehn in Dehn/Wolf Kom. GO-SH, § 35 S. 374, 377.
Für die Teilnahme an nichtöffentlichen Sitzungen hat die Verschwiegenheitspflicht eine wesentliche Bedeutung. Ein entsprechender Beschluss hat verpflichtenden Charakter für alle Gemeindevertreter. Ein Beschluss der Gemeindevertretung oder eines Ausschusses, die Öffentlichkeit auszuschließen, beinhaltet daher zugleich die Anordnung, die Angelegenheit geheim zu halten. Ziel der Verschwiegenheitspflicht ist die Sicherung und Bewahrung der Geheimnisse, die Gegenstand nichtöffentlicher Sitzungen sind. Dies gilt auch für den Umgang mit den Niederschriften über derartige Sitzungen, die der ehrenamtlich Tätige so aufzubewahren hat, dass Unbefugte hiervon keine Kenntnis erhalten können, vgl. zu § 21 Abs. 2 GO SH, Dehn in Dehn/Wolf Kom. GO-SH, § 21 S. 219.
Die Verschwiegenheitspflicht erstreckt sich auch auf – vermeintlich oder tatsächlich – rechtswidriges Verhalten der Gemeinde, solange der ehrenamtlich Tätige nicht versucht hat, zunächst die in der institutionellen Ordnung des demokratischen Rechtsstaates liegenden Abhilfemöglichkeiten auszuschöpfen. Dem ehrenamtlich Tätigen ist es daher zuzumuten, bei der Aufdeckung von möglichen Mißständen, zunächst die Vorgesetzten, Aufsichtsbehörden oder Gemeindevertreter, die ebenfalls zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, zu informieren, ehe der Weg in die Öffentlichkeit gesucht wird. Auch Art. 5 Abs. 1 GG gibt einem Gemeindevertreter kein Recht, geheimhaltungsbedürftige Angelegenheiten zu offenbaren.
Soweit nicht das Gesetz selbst Befreiungstatbestände aufführt und eine ausdrückliche Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht nach dem § 21 Abs. 3 bis 5 GO erfolgt, kommt eine Befreiung aus persönlichen, religiösen Bindungen, aus privatrechtlichen Verpflichtungen aber auch politischen Bindungen nicht in Betracht, Borchert in Schulz/Wolf/Bülow/Schliesky Kom. zur Gemeindeordnung, § 21, Ziff. 3, Rn. 10, 11.
Die Ausnahmen von der Verschwiegenheitspflicht sind in § 21 Abs. 2 S. 2 GO normiert. Danach gilt die Verschwiegenheitspflicht nicht für Mitteilungen im dienstlichen Verkehr oder über Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen.
Die Pflicht zur Verschwiegenheit besteht auch dann nicht, wenn über den geheim zu haltenden Sachverhalt eine am Ort erscheinende verlässliche Tageszeitung berichtet hat oder wenn es sich um Tatsachen handelt, von denen ein verständiger Mensch jederzeit durch Nutzung allgemein zugänglicher Informationsquellen ohne besonderen Aufwand Kenntnis erlangen kann (Offenkundigkeit). Offenkundigkeit liegt dagegen nicht vor, wenn nur unvollständig über die Sache berichtet worden ist oder lediglich Vermutungen ausgesprochen wurden. Eine Geheimhaltungspflicht besteht auch dann nicht mehr, wenn Tatsachen der Öffentlichkeit bereits bekannt sind, vgl. zu § 21 Abs. 2 GO SH, Dehn in Dehn/Wolf Kom. GO-SH, § 21 S. 220.
Die Verschwiegenheitspflicht gilt auf Dauer. Sie endet also nicht bei Beendigung der ehrenamtlichen Tätigkeit, sondern erst mit Aufhebung der Verschwiegenheit oder wenn die Sache nicht mehr geheimhaltungsbedürftig ist.
Aussageverbote, Genehmigungen und Sonderregelungen sind in § 21 Abs. 3 bis 5 GO enthalten.
Sofern die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht vorsätzlich erfolgt, stellt sie eine Ordnungswidrigkeit nach § 134 Abs. 3 Nr. 2 GO dar.
Bei den Absätzen 1 bis 4 des § 134 GO handelt es sich um körperschaftsinterne Bürgerpflichten und bei Absatz 5 um Zuwiderhandlungen gegen Satzungen der Gemeinde mit Außenwirkung. Die Ordnungswidrigkeitstatbestände der Absätze 1 bis 3 des § 134 GO erfassen wiederum nur ehrenamtlich tätige Personen, die in der Gemeindevertretung oder ihren Ausschüssen tätig sind, nicht jedoch Ehrenbeamte, die bei Dienstpflichtverletzungen dem Disziplinarrecht unterliegen. Der Absatz 7 regelt schließlich die Zuständigkeiten und Verfahrensabläufe bei der Ahndung der Ordnungswidrigkeit.
Grundsätzlich soll in § 134 GO eine Verletzung der Treue-, Verschwiegenheits- und Fürsorgepflichten geahndet werden, die ein Mitglied der Gemeindevertretung (oder ein Mitglied eines Ortsbeirats oder ein Mitglied eines Ausschusses der Gemeinde) stets mit der Ausübung des Ehrenamtes übernimmt. Die Gemeinde soll so vor dem schädigenden Verhalten des Mitglieds geschützt werden. Der § 134 GO hat seinem Wortlaut nach eine Repressions- und eine Präventivfunktion: Die Gemeinderatsmitglieder sollen an ihre Treue-, Verschwiegenheits-, und Schutzpflichten erinnert werden. Bürgerliche Ausschussmitglieder handeln zwar in ihrer Tätigkeit nach ihrer freien, durch das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung, vgl. § 46 Abs. 6 GO, jedoch darf dies nicht dazu führen, dass die eigene Überzeugung der Gemeinde einen irgendwie gearteten Schaden zufügt oder die Gemeinde auch nur in die Nähe einer Schädigung bringt, wobei ein immaterieller Schaden ausreicht.
Da es sich bei § 134 GO um eine Ermessensvorschrift handelt, steht es letztlich aber im Ermessen des Bürgermeisters oder der Gemeinde, ob die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit erstrebt wird.
Die Feststellung der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch Beschluss der Gemeindevertretung erfordert seitens der Gemeinde eine Ermittlung des Sachverhalts und eine förmliche Anhörung der Betroffenen. Der Beschluss der Gemeindevertretung ist verwaltungsgerichtlich nachprüfbar.
Der Kommentar Dehn /Wolf weist ausdrücklich darauf hin, dass es in letzter Zeit einen nicht unerheblichen Anstieg an eingeleiteten Ordnungswidrigkeitenverfahren gegenüber Gemeindemitgliedern gegeben hat. „Dies geschah nicht zuletzt wegen wiederholter Verletzung der Verschwiegenheitspflichten und der Verbreitung von der Geheimhaltung unterliegenden Informationen in den digitalen sozialen Netzwerken. (…) Zu oft plauderte „ein Gemeinderatsmitglied munter aus der nicht öffentlichen Gemeinderatssitzung gegenüber der Presse,““ Wolf in Dehn/Wolf GO Kom., § 134, Ziff. 2.
Der § 134 GO kommt laut § 134 Abs. 3 Nr. 2 GO erst dann zum Tragen, wenn zum einen vorsätzlich gegen die Verschwiegenheitspflicht verstoßen worden ist, und zum anderen die Tat nicht nach § 203 Abs. 2 (Verletzung von Privatgeheimnissen) oder § 353 b (Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht) des Strafgesetzbuches bestraft werden kann. Sollte mithin ein Anfangsverdacht bezüglich der Erfüllung einer dieser Straftatbestände vorliegen, so wäre allein die Staatsanwaltschaft bezüglich der Ahndung zuständig.
Allerdings muss eine Amtsträgerschaft im Sinne des § 11 Abs. 1, Ziff. 2 StGB vorliegen, die bei kommunalen Mandatsträgern nicht besteht.
Da Gemeindevertreter den Tatbestand des § 11 Abs. 1, Nr. 2 StGB laut Auffassung des Bundesgerichtshofes nicht erfüllen, kann die Verletzung strafrechtlich nur verfolgt werden, wenn die Mandatsträger mit konkreten Verwaltungsaufgaben betraut sind, die über die Ausübung ihres freien Mandats und den zugehörigen Aufgaben hinausgehen, vgl. Urteil des BGH vom 12.07.2006, Az.: 2 StR 557/05; Urteil des BGH vom 9.5.2006, Az.: 5 StR 453/05, folgerichtig Beschluss des BGH vom 14.12.2022, Az: StB 42/22.
Kommunale Mandatsträger sind laut Auffassung des Bundesgerichtshofs weder Beamte im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) StGB noch stehen sie in einem sonstigen Amtsverhältnis im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) StGB. Auch eine Bestellung, bei einer Behörde oder sonstigen Stelle Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen, gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c) StGB, liegt jedenfalls insoweit nicht vor, als es um die Ausübung des freien Mandats in der kommunalen Volksvertretung geht, denn es fehlt an der hierfür erforderlichen organisatorischen Einordnung in ein der Amtsträgereigenschaft eigenes Dienst- oder Auftragsverhältnis.
Letztlich wird die Staatsanwaltschaft im Einzelfall entscheiden müssen, ob und welcher Straftatbestand erfüllt ist.
Ein Verstoß gegen die mit der Ausübung der ehrenamtlichen Tätigkeit verbundenen Pflichten kann, wenn er erheblich ist und damit ein wichtiger Grund i.S. des § 20 Abs. 3 GO vorliegt, letztlich zur Abberufung des ehrenamtlich Tätigen führen, Borchert in Schulz/Wolf/Bülow/Schliesky Kom. zur Gemeindeordnung, § 21, Ziff. 32.
